Auch Besitzer von alten Wasserkraftanlagen haften nun für Umweltschäden
EuGH: Betreiber können sich nicht mehr auf alte Genehmigungen berufen
Die Betreiber von älteren Wasserkraftanlagen müssen nun trotz früherer Betriebsgenehmigungen für ökologische Schäden haften: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am 1. Juni ein weitreichendes Urteil gefällt, auf dessen Grundlage nun etwa Angelvereine oder einzelne Betroffene verlangen können, dass alte, vor 2007 gebaute Anlagen wie Wasserkraftwerke, aber auch sonstige industrielle Anlagen, die etwa Schadstoffe in Gewässer einleiten, ökologisch saniert werden müssen: Die Betreiber können sich ab sofort nicht mehr darauf berufen, dass ökologische Schäden von früheren nationalen Betriebsgenehmigungen abgedeckt sind, heißt es in der Entscheidung . (Az. C-529/15)
Im aktuellen Fall hatte ein Fischereiberechtigter in Österreich geklagt, weil in der Mürz ein oberhalb von ihm gelegenes Wasserkraftwerk den Fluss im Schwellbetrieb für die Stromerzeugung immer aufstaute und abließ. Wegen der extremen Schwankungen des Wasserspiegels verendeten immer wieder viele Jung- und Kleinfische. Seine deshalb bei den Behörden eingereichte Beschwerde war jedoch mit der Begründung abgewiesen worden, dem Kraftwerk sei 1998 eine wasserrechtliche Bewilligung erteilt worden, in der Restwassermengen vorgeschrieben worden seien. Der vom Kläger behauptete Schaden sei daher durch diese Bewilligung gedeckt.
Das Luxemburger Gericht entschied nun, dass das EU-Recht zur „Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden“ auch für Altanlagen gilt, die vor dem 30. April 2007 in Betrieb gegangen sind. Geht von diesen Anlagen laut Urteil „ein Schaden aus, der erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den ökologischen, chemischen oder mengenmäßigen Zustand oder das ökologische Potenzial der betreffenden Gewässer hat“, ist er nicht mehr durch eine behördliche Betriebserlaubnis gedeckt.
Das Urteil ist nach Ansicht des renommierten Hamburger Umweltrechtsexperten Rüdiger Nebelsiek für den gesamten Raum der EU von großer Bedeutung. In Deutschland kann nun etwa gegen die Verhäckselung von Wanderfischen wie etwa Aalen in den Turbinen der älteren Wasserkraftanlagen ebenso vorgegangen werden, wie etwa gegen das Ansaugen von Fischen bei der Kühlwasserentnahme oder die Verschlammung in den Staubereichen. In diesen und weiteren Fällen könnten sich Betreiber nun nicht mehr mit dem Verweis auf frühere Genehmigungen gegen Auflagen zur Sanierung von Umweltschäden wehren.
Rechtsanwalt Nebelsiek zufolge müssen deutsche Behörden nun auf die Anträge von Betroffenen hin aktiv werden, Sanierungsbedarfe prüfen und können sich nicht mehr mit Verweis auf die „strikte Bestandskraft alter Zulassungen“ zurücklehnen. Die Behörden seien jetzt vom Gerichtshof in Luxemburg verpflichtet worden, “die Sündenfälle der Vergangenheit an der Natur aktiv anzugehen”.
Bedeutsam ist dem Umweltrechtsexperten zufolge, dass nicht nur Umweltschutzverbände, sondern nach deutschem Recht auch einzelne Betroffene klagen und eine behördliche Sanierungsanordnung der Altanlagen durchsetzen können!
Das Urteil reicht zudem über die Schäden von Wasserkraftanlagen weit hinaus: Die Bestimmungen der Umwelthaftungsrichtlinie umfassen auch Schäden an Binnengewässern, die ausgehen von der Energiewirtschaft, Mineralindustrie, chemischen Industrie, Abfallbewirtschaftung, Papierindustrie oder der “Massenfertigung von Fleisch, Milch und Lebensmitteln”.
Im Ausgangsfall kann der Kläger nun etwa fordern, dass die Behörden Sanierungsmaßnahmen anordnen und der Wasserkraftbetreiber ein Umgehungsgerinne anlegen muss, damit eine Mindestwassermenge für die Fische garantiert ist, oder aber den Schwellbetreib weitgehend zu reduzieren hat.
Fazit des Urteils: Profit auf Kosten der Umwelt wird mit dem Urteil nun schwerer.
Volltext der Entscheidung:
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